In Rollstuhltechnik

Einen neuen Rollstuhl aussuchen ist doch so ähnlich wie Schuhe kaufen oder einen neuen Fernseher oder ein Auto?

In letzter Zeit habe ich oft Fragen gelesen wie:

„…ich bin gerade auf der Suche, was für einen Rollstuhl fahrt ihr?“

Es ist vielleicht ganz interessant zu wissen, was andere für ein Modell fahren, aber jeder sollte auch versuchen das Beste für sich zu finden. Denn was ich auch oft lese, ist so etwas:

„…mein Rollstuhl passt nicht“ oder „…ich komme mit meinem Rollstuhl nicht klar“

Wie könnte man bei einer Suche vorgehen?

Eure Anforderungen 

Krankheitsbild 

Ganz oben auf der Liste mit euren Anforderungen steht natürlich erstmal euer Krankheitsbild und was für einen Rollstuhl benötigt ihr grundsätzlich und was genehmigt der Kostenträger grundsätzlich. Ein paar Beispiele:

  • Ein Querschnitt benötigt und bekommt ihn auch genehmigt, einen Aktivrollstuhl oder sogar einen E-Rollstuhl. Bleiben wir mal beim Aktivrollstuhl und dem Unterschied 
    • Hoher Querschnitt/tiefer Querschnitt, das sind am Ende zwei sehr unterschiedliche Rollstühle. Es kann selbstverständlich das gleiche Modell sein, aber die Einstellung und das Zubehör machen jeden der beiden Rollstühle ganz speziell
  • MS Patienten bekommen in der Regel nur einen Standard Leichtgewichts Rollstuhl bewilligt. Dieser dann aber mit der Möglichkeit, einen Zusatzantrieb zu montieren, wenn sich das Krankheitsbild verschlechtert. 
  • Ist man sehr stark im Oberkörper eingeschränkt, ohne jetzt alle Krankheitsbilder aufzuzählen, fällt die Wahl wohl immer auf einen E-Rollstuhl. 

Tipp 1: Macht euch Gedanken und macht am besten schriftlich eine Liste mit Argumenten, warum ihr welchen Rollstuhl mit welchem Zubehör benötigt und das aus der Sichtweise „Der Rollstuhl, mit dieser Ausstattung hilft mir, meine Behinderung auszugleichen“

Wenn ihr einen guten Arzt habt oder einen Physiotherapeuten, besprecht das mit denen, sie können euch da bestimmt unterstützen. Der Arzt sollte eh etwas Passendes und Sinnvolles auf die Verordnung schreiben. 

Persönliche Anforderungen 

Eure ganz persönlichen Anforderungen beeinflussen die Wahl des Rollstuhls ebenfalls sehr stark. Auch hier wieder ein paar Beispiele:

  • eine Grundsatzdiskussion ist oft: Starrahmen oder Falter? Ich glaube, alleine über dieses Thema kann man ein Buch schreiben. Hier sollte jeder ganz genau überlegen, wo er für sich, in der täglichen Benutzung Vorteile sieht. 
    • Ein herkömmlicher Faltrollstuhl ist immer etwas schwerer als ein Starrahmen. 
    • Ein faltbarer Rollstuhl macht trotzdem Sinn, wenn er im Kofferraum transportiert wird. Oder wenn ein Selbstfahrer seine Verladetechnik mit einem Falter gewohnt ist.  Oder wenn man ein automatisches Verladesystem verwendet. Ich persönlich würde beim Fliegen zum Beispiel immer einen Faltrollstuhl vorziehen. Gefaltet ist der Rollstuhl kompakter, stabiler, weniger anfällig für Beschädigungen durch das Flugpersonal beim Verladen in den Gepäckraum. 
    • Ein Starrahmen ist dagegen stabiler in seinen Fahreigenschaften, er ist weniger störanfällig da er weniger bewegliche Teile besitzt. Wie schon erwähnt, ist das geringere  Gewicht ein großer Vorteil, was aber wiederum nur von Bedeutung ist, wenn man den Rollstuhl anheben muss. Beim Fahren merkt niemand, ob der Rollstuhl ein Kilogramm mehr oder weniger wiegt. 
  • was braucht man für Zubehör? 
    • Braucht man eine andere Antriebsradsgröße als 24“? Welche Lenkrollen wählt man?
    • Helfen einem abnehmbare Beinstützen?
    • Benötigt man einen Kippschutz, Pelotten, einen speziellen Rücken?
  • Ganz allgemein muss der Rollstuhl verstellbar sein oder kann es sogar ein festverschweißter Rahmen sein?

Einige spezielle Denkanstöße für Elektrorollstühle:

  • Wo wird der Rollstuhl genutzt? Es gibt drei Klassen für E-Rollstühle 
    • Klasse A: Nur im Innenbereich. Das ist eher der seltenste Fall. 
    • Klasse B: Im innen- und Außenbereich
    • Klasse C: Nur im Außenbereich

→ Jeder Rollstuhl jeder Klasse hat wiederum seine Stärken und seine Schwächen. Am häufigsten Anwendung finden Rollstühle der Klasse B

  • Benötige ich einen speziellen Sitz? 
    • Soll der Sitz noch mitwachsen? Zum Beispiel bei Jugendlichen
    • Benötige ich viel Unterstützung und Halt für meine Sitzposition?
    • Sind elektrische Verstellungen notwendig? Beispielsweise Rücken, Kantelung, Sitzlifter, Beinstützen. 
  • Welche Reichweite benötige ich? Danach richtet sich wiederum die Batteriegröße.

Tipp 2: auch hier wieder die Empfehlung, macht eine Liste, warum ihr was braucht. Es hilft euch, damit euch klar werdet, was ihr benötigt und beim Argumentieren bei eurem Kostenträger. 

Internetseiten der Hersteller 

Da ihr jetzt ganz gut wisst, was ihr braucht, informiert euch auf den Seiten der Hersteller welcher Rollstuhl in Frage kommt. Dort könnt ihr das Ganze weiter eingrenzen mit euren Maßen zum Beispiel. Das heißt, welche Sitzbreite, Sitztiefe, Rückenlehnenhöhe, etc. benötigt ihr und gibt es den Rollstuhl in dieser Version. 

Tipp 3: informiert euch selbst über die Modelle, die in Frage kommen, dann seid ihr gerüstet für ein Gespräch mit dem Sanitätshändler. 

Das Sanitätshaus

Wenn ihr ein Sanitätshaus habt, dem ihr vertrauen könnt, in dem gutgeschulte Mitarbeiter arbeiten, freut euch, denn dann habt ihr die erste Hürde genommen. 

Die Regel sieht leider anders aus. Das ist ja auch irgendwie etwas nachzuvollziehen, das normale Sanitätshaus passt eher selten einen Rollstuhl an. Und wenn, dann hat jeder Benutzer auch noch unterschiedliche Anforderungen, der eine braucht einen E-Rollstuhl, der andere einen Aktivrollstuhl. Kurz gesagt, den Mitarbeitern fehlt einfach die Erfahrung, eine Anpassung vorzunehmen. Wenn man mit einem Ferrari in eine VW Autowerkstatt fahren würde, hätten die wohl auch ihre Probleme. 

Wenn ihr euch an ein Sanitätshaus wendet, das viele Anpassungen vornimmt, weil es sich auf Rollstuhlfahrer spezialisiert hat oder weil es mit einer Querschnittsklinik zusammenarbeitet, seid ihr grundsätzlich erstmal gut aufgehoben. 

Was ihr nie vergessen dürft, jedes Sanitätshaus will und muss Geld verdienen und das spielt bei der Beratung immer eine Rolle!

Im Normalfall ist es so, dass ein Sanitätshaus einen Rollstuhlhersteller (bei größeren Häusern oder Einkaufsgenossenschaften auch mehrere) bevorzugt und somit versucht, euch einen Rollstuhl von diesem Hersteller zu empfehlen. Warum ist das so? Ganz einfach, je mehr ein Händler von einem Hersteller abnimmt, umso besser sind die Rabatte, die er bekommt. 

Tipp 4: vergesst nie, ihr bestimmt, welcher Rollstuhl von welchem Hersteller bestellt/eingereicht werden soll! Nicht das Sanitätshaus!

Ob dieser Rollstuhl dann auch vom Kostenträger bewilligt wird ist, dann ein anderes Thema.  Wichtig ist, dass ihr das bestimmt und nicht das Sanitätshaus! Ihr geht ja auch nicht zum Bäcker und der sagt, ob ihr heute Brot oder Brötchen bekommt. 

Kontakt zum Außendienst und Probefahren

Sehr hilfreich kann es auch sein, wenn das Sanitätshaus mit dem entsprechenden Außendienstmitarbeiter des Herstellers Kontakt aufnimmt, wenn es Unklarheiten oder Fragen bei der Anpassung gibt. 

Was ihr unbedingt machen solltet, ist, euren Wunsch Rollstuhl in Realität ansehen oder noch besser, ihn Probe fahren. Auch dabei kann euch das Sanitätshaus unterstützen und beim Außendienst oder über die Servicehotline einen Demo Rollstuhl anfragen. 

Tipp 5: Den Wunsch Rollstuhl Probe fahren oder zumindest in Realität ansehen. 

Keine Probefahrt, aber eine Testfahrt mit Kollegen 🙂

Feinschliff für die Erfahrenen

Wenn ihr jetzt genau wisst, was ihr wollt, euch schlau gemacht habt, welche Modelle in Frage kommen und jetzt trotzdem noch zwischen mehreren Rollstühlen schwankt, dann kommt es auf die Feinheiten an. 

Zusammen mit dem was ich bisher beschrieben habe, spielen für mich persönlich immer noch zusätzlich zwei Punkte eine Rolle und zwar:

  • das Design 
  • und die Zuverlässigkeit 

Design ist Geschmacksache, daher verliere ich darüber hier keine Worte. 

Wie kann man im Vorfeld herausfinden, ob ein Rollstuhl eher zuverlässig ist oder eher nicht?

Indem man sich die Technik genau ansieht!

Wenn ein Rollstuhl ausfällt, weil etwas kaputt ist oder sich etwas verstellt hat, ist das ein riesiges Problem wenn man keinen Ersatz hat. Daher ist die Zuverlässigkeit extrem wichtig!

Ein paar Beispiele, die man zur Auswahl heranziehen kann:

  • alle Teile, die verstellbar sind, können sich im Laufe der Zeit auch verstellen! Und das passiert grundsätzlich dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Natürlich kann man nicht komplett auf Schraubverbindungen verzichten, aber je weniger es sind, umso geringer ist die Gefahr. 
  • Ein Bauteil bei Aktivrollstühlen, das entscheidend sein kann, ist die Lenkradanbindung. Bei den meisten Rollstühlen muss diese im Winkel verstellbar sein, um den Nachlauf einzustellen, wenn dieser sich durch Einstellen der Sitzhöhe oder des Sitzwinkels verstellt hat. Hier sollte man darauf achten, dass die Lenkradanbindung nicht nur eine Klemmung durch Verschrauben besitzt, sondern zusätzlich auch eine Rasterung/Formschluss. Wenn es nur eine Klemmung ist, kann diese sich schnell verstellen, wenn man mit dem Vorderrad gegen ein Hindernis fährt. 

Lenkradanbindung

Zusammenfassung

Tipp 1: Macht euch Gedanken und am besten schriftlich eine Liste mit Argumenten, warum ihr welchen Rollstuhl mit welchem Zubehör benötigt und das aus der Sichtweise „Der Rollstuhl, mit dieser Ausstattung hilft mir, meine Behinderung auszugleichen“

Tipp 2: Auch hier wieder die Empfehlung, macht eine Liste, warum ihr was braucht. Es hilft euch, damit euch klar werdet, was ihr benötigt und beim Argumentieren bei eurem Kostenträger. 

Tipp 3: Informiert euch selbst über die Modelle, die in Frage kommen, dann seid ihr gerüstet für ein Gespräch mit dem Sanitätshändler. 

Tipp 4: Vergesst nie, ihr bestimmt, welcher Rollstuhl von welchem Hersteller bestellt/eingereicht werden soll! Nicht das Sanitätshaus!

Tipp 5: Den Wunsch Rollstuhl Probe fahren oder zumindest in Realität ansehen. 

Wenn ihr das alles berücksichtigt, seid ihr gut gerüstet und könnt euch auf euren nächsten Rollstuhl freuen.

Übrigens, wenn ich etwas ungenau beschrieben habe, oder ihr noch Fragen habt, schreibt es einfach in den Kommentar, ich beantworte gern eure Fragen.

Euer

Finanzrolli

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