In Rollstuhltechnik

Einen Elektrorollstuhl kann man grundsätzlich in zwei Hauptelemente unterteilen:

  1. Die Fahrbasis oder auch Chassis genannt: Im groben ist das der Rollstuhlrahmen, die Motoren und Räder, die Batterien, also alles, was unterhalb des Sitzes liegt.
  2. Den Sitz mit seinen Verstellmöglichkeiten und alles was, daran befestigt ist.

Heute betrachten wir nur den Sitz. Dabei werde ich, außer in einem Fall, keine Namen von Herstellern und Modellen nennen. Ich verzichte dieses Mal auch auf Bilder von Rollstühlen und den Sitzen. Die Beschreibung der Sitze ist ganz allgemein, da es mir nur darum geht, Unterschiede aufzuzeigen und ein besseres Verständnis für die Varianten zu vermitteln. 

Sitzvarianten

Jeder Hersteller hat natürlich seine eigenen Bezeichnung für seine Sitze, aber dennoch stimmen sie manchmal überein und auf jeden Fall kann man sie in verschiedene Klassen unterteilen. 

Klasse 1 Captain Seat

Der Captain Seat (Kapitäns-Sitz) wird im deutschsprachigen Raum – zum Glück- selten verwendet. Der Vollständigkeit halber soll er aber mit aufgezählt werden. 

Dieser Sitz hat wenig bis gar keine Einstellmöglichkeiten. Das heißt, die Sitztiefe, Rückenlehnenhöhe, etc., kann nicht verändert werden. Er hat eine gepolsterte Rückenlehne und eine gepolsterte Sitzfläche, die in der Regel mit Kunstleder überzogen sind. Man benötigt hier kein extra Sitzkissen. Die Polsterung ist dadurch jedoch auch nicht wählbar oder austauschbar. Aus diesen Gründen bezeichnet man ihn auch als „festen Sitz“. 

Armlehnen und sehr oft auch eine Kopfstütze sind integriert, elektrische Sitzverstellungen findet man dagegen bei diesem Sitz nicht. 

Für eine echte Rollstuhlversorgung sollte dieser Sitz, auf Grund seiner Möglichkeiten, nicht verwendet werden. Was jedoch nicht heißen soll, dass der Sitz schlecht ist. In vielen Ländern ist er sogar sehr populär. Anwendung findet er dort oft bei Produkten, die von älteren oder übergewichtigen Menschen verwendet werden. 

Sogar in unseren Breiten gibt es jedoch eine Anwendung, wo der Captain Seat fast ausschließlich verbaut wird, dass ist bei Scootern. Nahezu alle Scooter sind mit diesem Sitz ausgerüstet. 

Klasse 2 Standard Sitz

Unter einem Standard Sitz versteht man im allgemeinen den Sitz, der im Einstiegssegment und bei den Grundversorgungen verwendet wird. 

Der Sitz besteht aus einem gepolsterten Nylonrücken, der über Gurte anpassbar wird. Nur noch sehr selten werden nicht anpassbare Rücken von den Herstellern verwendet. Der Nylonrücken wird beim Standardsitz zwischen zwei  Rückenholme gespannt. Diese Rückenholme sind meist einfache Rundrohre, die wiederum an der Sitzfläche befestigt sind. 

Einige Hersteller bieten auch für den Standardsitz höherwertige Rückenpolsterungen an, die dann meist sogar konturiert und stärker gepolstert sind. 

Bei der Sitzfläche gibt es zwei Varianten:

  1. Feste Sitzplatte: Hierbei besteht die Sitzfläche aus einer „Blechplatte“
  2. Nylon Sitzfläche: Wie der Name schon sagt, besteht das Sitzelement aus einer Stoffbahn (Nylon), die über einen Grundrahmen gespannt ist. Man kennt diese Technik auch von den manuellen Rollstühlen, dort ist das der Standard. 

Auf die Sitzfläche wird immer ein Sitzkissen aufgelegt. Dadurch hat man die Möglichkeit das Sitzkissen nach den eigenen Bedürfnissen auszuwählen. 

Es gibt inzwischen eine riesige Auswahl an Sitzkissen und fast jeder größere Hersteller hat auch ein eigenes Kissen-Portfolio. 

Je nach Hersteller hat der Standardsitz mehr oder weniger Funktionen. Es gibt ganz schlichte Versionen, aber auch Modelle, die sehr gut an den Körper angepasst werden können. Verstellmöglichkeiten können sein:

  • Die Sitztiefe 
  • Die Sitzbreite
  • Die Rückenlehnenhöhe
  • Der Rückenlehnenwinkel

Wie beschrieben, ist das aber sehr Herstellerabhängig. Auch die Qualität der Einstellmöglichkeiten ist sehr unterschiedlich. 

Beispiel:

Um die Sitzbreite anzupassen, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Einerseits gibt es Sitze, bei denen die Sitzfläche teleskopierbar ist. Es wird hierbei also die komplette Sitzfläche verbreitert. Ein Sitzkissen kann also auf die komplette Breite aufgelegt werden. 

Andererseits werden zur Anpassung der Sitzbreite bei manchen Sitzen nur die Armlehnen/der Kleiderschutz seitlich aus dem Sitz herausgezogen. Die Sitzfläche wird also nicht verändert, nur der Abstand zwischen den Armlehnen wird vergrößert. Will man dann ein breiteres Sitzkissen verwenden, was ja sinnvoll ist, um den Körper komplett zu unterstützen, liegt das nicht vollständig auf der Sitzfläche auf. 

Es gibt Hersteller, die schon für den Standardsitz elektrisch Verstellungen als Option anbieten. Das können zum Beispiel sein:

  • Elektrische Rückenwinkel Verstellung 
  • Elektrische Sitzkantelung
  • Elektrischer Sitzlifter

Klasse 3 anpassbare Sitze

Diese Klasse der Sitze hat besonders in den letzten Jahren einen kleinen Boom erfahren. Fast jeder Hersteller hat inzwischen solch einen Sitz im Programm und damit ihren Standardsitz als „Massenprodukt“ abgelöst und gleichzeitig die Reihenfolge der Wichtigkeit etwas geändert. 

Damit meine ich, dass bis vor wenigen Jahren der Standardsitz quasi die Allzweckwaffe war. Der Standardsitz war in Sitzbreite, Sitztiefe, etc. einstellbar und man hatte somit sehr gute Möglichkeiten, den Sitz an unterschiedliche Bedürfnisse anzupassen. 

Aber, der Standardsitz hatte noch Verbesserungspotenzial und genau das haben einige erkannt. Inzwischen hat fast jeder größere Hersteller oberhalb des Standardsitzes, einen modularen und variabel anpassbaren Sitz eingeführt. 

Vom Aufbau her ähnelt der anpassbare Sitz dem Standardsitz. Er hat einen Grundrahmen, Sitzfläche, Rücken, etc. – zusätzlich gibt es einige Feinheiten. Die Einstellmöglichkeiten sind in der Regel besser ausgearbeitet, das heißt, eine Anpassung kann besser, feiner und schneller erfolgen. An der Sitzfläche sind häufig seitlich Profile mit Nuten vorhanden. Diese können verwendet werden, um sehr einfach weiteres Zubehör zu montieren. 

Kurz gesagt können Sitze dieser Klasse besser als ein Standardsitz an die persönlichen Bedürfnisse angepasst werden und haben auf Grund ihrer vielen Optionen und weiteres Zubehör mehr Möglichkeiten. 

Ein entscheidendes Features, das dieses Sitze ausmacht, ist die Scherkräfte-Reduzierung bei der Rückenverstellung. Was genau ist das? Viele kennen das Problem, dass, während man den Rücken nach hinten fährt (elektrische Rückenwinkelverstellung), einem das „Hemd aus der Hose“ gezogen wird. Mit der Scherkräfte-Reduzierung kann das nicht mehr passieren. Das ist natürlich sehr angenehm, noch mehr kommt dieser Effekt Nutzern von Kinnsteuerungen zugute. Die haben nämlich das Problem, dass bei der Rückenverstellung der Joystick vom Kinn wegwandert. Dieses Problem gibt es mit dem Scherkräfteausgleich nicht. 

Auch bei einem anpassbaren Sitz kann als Sitzkissen gewählt werden, was das Herz begehrt. Jedes Sizkissen kann auf die Sitzfläche aufgelegt werden. 

Die Varianten der Rückenpolsterungen beginnen auch hier wieder mit anpassbaren Nylonbespannungen und gehen über verschiedene konturierte Polster bis hin zu allen auf dem Markt verfügbaren Rückenschalen, die an den Rückenrohren montiert werden können. 

Klasse 4 klinische Sitze

Wenn ein Nutzer noch höhere Anforderungen hat und die Möglichkeiten der anpassbaren Sitze ausgeschöpft sind, haben einige Hersteller die klinischen Sitze in ihrem Angebot. 

Höhere Anforderungen können zum Beispiel sein:

  • mehr Unterstützung bei der Positionierung: Das bedeutet der Nutzer muss sehr stark gehalten werden, da er absolut keine Funktionen und Rumpfstabilität mehr besitzt. Hier kann man einen sehr hohen Querschnitt als Beispiel nehmen. An einem Sitz der Klasse 3 sind zwar auch verschiedenste Unterstützungshilfen, wie zum Beispiel Oberkörper Pelotten, anbaubar, ein Sitz der Klasse 4 bietet durch seinen Aufbau jedoch noch größere Möglichkeiten. 
  • Größere Verstellwege: Sitze der Klasse 3 haben in der Regel bei einem elektrisch verstellbaren Rücken einen max. Winkel 30 – 35* in Einzelfällen bis 45* und einen Sitzkantelungswinkel von 30*. Mit einem klinischen Sitz kann man Liege- und Schocklagerungspositionen einnehmen, die Verstellwinkel sind also noch um einiges größer. Diese Positionen sind zum Beispiel notwendig bei Nutzern, die beatmet oder abgesaugt werden müssen. 

Die Verwendung der klinischen Sitze hat also immer einen medizinischen Hintergrund. 

Gerade bei einem klinischen Sitz ist die Möglichkeit verschiedenste Sitzkissen und Rückenpolster zu verwenden extrem wichtig. Personen, die einen solchen Sitz verwenden, können sich absolut nicht entlasten. Die Wahl der Polster spielt also eine sehr wichtige Rolle zur Dekubitusprophylaxe und für die Positionierung im Rollstuhl. 

Klasse 5 Autositz

Ich denke, jeder weiß, welcher Sitz damit gemeint ist, darum kann ich ihn auch beim Namen nennen, üblicherweise spricht man hier vom Recaro-Sitz. Es gibt vergleichbare Sitze von der Firma König. 

Die Geschichte über diesen Sitz ist wirklich etwas kurios. Der Recaro -Sitz ist aus medizinischer, therapeutischer, anatomischer Sicht, absolut kein idealer Sitz für Rollstuhlfahrer. Trotzdem wird er im deutschsprachigen Raum noch immer gern verwendet. 

Das der Recaro-Sitz nicht ideal ist, liegt daran, dass seine Einstellungsmöglichkeiten sehr begrenzt sind. Die Sitzbreite kann nicht angepasst werden, die Sitztiefe nur bei wenigen Modellen. 

Ja, es ist und bleibt einfach ein Autositz, der aber besonders bei älteren Hasen und Outdoor Fahrern noch immer beliebt ist. 

Die Autositze besitzen ihre eigene Polsterung. Es gibt Möglichkeiten, die Sitzfläche zu ergänzen oder komplett durch ein anderes Sitzkissen zu ersetzen. 

Rucksack am Rücken

Einen kleinen „Warnhinweis“ und eine Empfehlung in Verbindung mit Sitzen, möchte ich noch geben. 

Ich sehe sehr oft Rollstühle mit Rucksäcken am Rücken befestigt. Warum auch nicht? Ich selbst habe auch einen dran. Aber warum muss man denn den halben Hausstand mitschleppen?

Spaß beiseite, gerade an Elektrorollstühlen hängen oft prall gefüllte Rucksäcke. Das 

ist nicht gut und sogar gefährlich. Gefährlich aus dem Grund, dass ein schwerer Rucksack starke Kräfte auf den Rücken des Sitzes ausübt und die Konstruktion dafür eigentlich nicht ausgelegt ist. Ein zweiter Punkt ist, dass ein schwerer Rucksack auch den Schwerpunkt des gesamten Rollstuhls beeinflusst. Das kann sich nachteilig auswirken, wenn man einen Berg hinauf fährt. Im kritischsten Fall kann der Rollstuhl nach hinten kippen. 

Aus diesen Gründen empfehle ich, nicht so viel in den Rucksack zu packen, oder auch einen kleineren zu verwenden. Ich benutze diesen Rucksack. Da passen die notwendigsten Dinge hinein und er hat noch einen Vorteil. Der Rucksack ist eigentlich ein Trinkrucksack, das heißt, er enthält eine herausnehmbare Trinkblase. So hat man immer Wasser mit dabei. 

Zusammenfassung

Mit diesen vier Klassen sind alle auf dem Markt verfügbaren Sitze beschrieben. Welchen ihr davon benötigt, das liegt an euren Bedürfnissen. 

ABER: Egal, welchen Sitz ihr benutzt, das Wichtigste ist und bleibt jedoch die Anpassung! 

Der beste Sitz ist nichts wert, wenn er nicht richtig an eure Bedürfnisse angepasst wird – dafür ist das Sanitätshaus zuständig, von dem ihr den Rollstuhl bekommt. 

Wenn ihr noch Fragen zu Unterschieden oder über spezielle Modelle etwas wissen möchtet, schreibt unten einen Kommentar oder mailt mir einfach. 

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • Dirk
    Antworten

    Artikel gibt einen guten Überblick über die verschiedenen Sitze und deren Optionen. Wenn es Deine Zeit erlaubt, erweitere bitte den Blog um Artikel, welche sich detaillierter mit diesen Optionen bezüglich ihrer Auswirkungen auf den Nutzer aber auch auf den Rolli selbst befassen. Das wäre eine gute Ergänzung. Eventuell hast Du auch noch Tipps zur Vorgehensweise bei der Anpassung. Grüße D.M.

    • finanzrolli
      Antworten

      Danke für die Anregung!
      Das nehme ich gern in meinen Redaktionsplan auf.

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