Zu dieser Geschichte muss ich vorab ein paar Dinge erläutern.
Ein Vorspann-Bike ist ein Antrieb, der mit wenigen Handgriffen über Adapter an einen Rollstuhl montiert werden kann, genau wie bei einem Fahrrad. Es gibt rein durch Muskelkraft betriebene Handbikes oder aber wie bei einem E-Bike mit Motorunterstützung – solch ein E-Handbike fahre ich.
Ein gravierender Unterschied zu E-Bikes ist, dass dort die Entwicklung der Technik viel schneller vorangeht. Die Verkaufszahlen von Handbikes liegen selbstverständlich weit hinter den Zahlen von Fahrrädern. Die Technik, die in einem E-Bike verbaut ist, ist also üblicherweise immer etwas „veraltet“. Klar, bei E-Bikes gibt es regelmäßig zu jeder Saison neue Motoren, neue Elektronik oder zumindest Updates. Das ist im E-Handbike Markt nicht machbar.
Die Folge ist, dass mir so ein Motor zwar ungemein hilft, ohne käme ich hier kein Stück voran, aber auf steilen Anstiegen kommt der Motor an seine Grenzen. Der Unterschied ist immer sehr gut zu erkennen, da Dajana sich neben mir auf einem Steilstück kaum anstrengen muss, während ich mich abmühe. Aber andererseits will ich das ja auch, denn das hält fit.
Ein zweiter wichtiger Punkt, den ich kurz ansprechen möchte, ist die Traktion von einem Rollstuhl-Handbike-Gespann. Ein Rollstuhl hat den Schwerpunkt üblicherweise ziemlich genau zwischen den Antriebsrädern. Wird jetzt ein Vorspannbike angehangen, rutscht der Schwerpunkt zwar etwas nach vorne Richtung Vorderrad, aber die Hauptlast liegt noch immer sehr nahe an den Hinterrädern. Die Folge davon ist, dass man relativ schnell die Traktion verliert. Das passiert entweder, wenn der Untergrund nicht mehr so griffig ist, also zum Beispiel auf Schotter oder aber, wenn es zu steil bergauf geht. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass mein kritischer Punkt ungefähr bei 10% liegt, es kommt auf den Untergrund an.
Im Januar 2015 sind wir nach Thüringen gezogen. Ich war sehr schnell von der Radwegen hier begeistert. Alleine der Ilm-Radweg bietet eine tolle Kulisse zum Rad fahren.
Wir wohnten für ca. 1 1/2 Jahre in einer Wohnung in Stadtilm. Nachdem unser Haus fertig war und wir schließlich 2016 in unseren jetzigen Heimatort und somit noch etwas näher zum Rennsteig gezogen sind, erschlossen sich neue Radwege und Routen.
Die erste Tour Richtung Oberhof
Im Sommer 2017 hatten wir liebe Freunde aus Hessen mit ihren Fahrrädern zu Besuch. Es war kein superschönes Wetter, aber doch noch gut genug, dass wir spontan beschlossen, Richtung Rennsteig und Oberhof zu fahren.
Die ersten 7km sind wir auf dem Ilm-Rennsteig-Radweg gefahren. Dieser befindet sich auf einer alten Bahntrasse. Er führt von Gehren über Hohe Tanne bis nach Großbreitenbach.
Der Weg verläuft stetig bergauf und man hat von dort eine superschöne Aussicht. Bei Hohe Tanne haben wir den Fahrradweg verlassen, Richtung Neustadt am Rennsteig. Insgesamt waren das so 11,5km, fast alles bergauf. Der Plan war, dem Rennsteig-Radweg zu folgen, um so über Allzunah bis nach Oberhof zu kommen. Das wären gesamt ziemlich genau 40km gewesen, ohne Rückfahrt.
Zu der Zeit besaß ich zwei Akkus. Ich wusste, dass ich pro Akku so ca. 40km – 45km schaffe, allerdings gemessen in relativ ebenem Gelände. Irgendwo zwischen Neustadt und Allzunah wurde mir klar, dass wird nichts! Dadurch, dass es fast nur bergauf ging, sank meine Reichweite auf ca. 20km pro Akku. Wir brachen die Tour also ab und fuhren durch den Wald runter nach Langewiesen.
Die zweite Tour Richtung Oberhof
Der Gedanke, mit dem Rad nach Oberhof zu fahren, hat mich nach dem gescheiterten Versuch natürlich noch mehr gereizt.
Da bekanntlich viele Wege nach Rom führen, ich die aber nicht alle kenne, suchte ich nach einer Fahrrad App. Ich entschied mich für Komoot.
Ich suchte eine neue Route raus, die Benutzung der App ist intuitiv und simpel. Diesmal ging es über Ilmenau auf dem Ilm-Radweg, bis zu seinem Ursprung In Allzunah und von dort weiter nach Oberhof. Kurz nach dem ersten gescheiterten Versuch, machten Dajana und ich uns auf um einmal zu testen, wie es nach Ilmenau weiter ging. Bis Ilmenau sind wir schon sehr häufig gefahren, das ist sozusagen unsere Hausstrecke. Weiter waren wir jedoch noch nie gefahren. Also begann das Neuland hinter Ilmenau, was aber sehr gut anfing. Wir fuhren über Manebach Richtung Stützerbach. Kurz vor Stützerbach waren wir zwar kurz auf einem Singletrail unterwegs, aber es war noch ok. In Stützerbach drehten wir um. Hinter uns lagen 20km bergauf, ein Akku war leer, viel weiter würden wir also nicht kommen, wenn man den Rückweg mit einrechnet.
Die dritte Tour Richtung Oberhof
Neues Jahr neues Glück! Ich besaß jetzt drei Akkus. Über die App hatte ich eine neue Route rausgesucht. Es ging wieder über Ilmenau, von dort jetzt allerdings über Roda, Elgersburg, Geraberg, nach Oberhof.
Die Route sah auf der Karte sehr gut aus und es waren nur 28,3 km. Auf dieser Tour, wie auch den ganzen Sommer über, hat sich mein Trinkrucksack sehr bewährt, den ich mir in diesem Jahr zugelegt habe. Sehr zu empfehlen:
Wir hatten Urlaub und in Oberhof im Biathlon Stadion fand ein Firmenlauf statt. An dem Lauf nahmen auch Dajanas Kollegen Teil und da das Ganze mit Foodtrucks usw. umrahmt wurde, war das eine schöne Gelegenheit für eine Tour nach Oberhof. Also starteten wir bei knapp 30 Grad einen neuen Versuch.
Bis Ilmenau war es wie gewohnt kein Problem. Im nächsten Ort, in Roda, ging es auf einmal steil bergab. Seltsam war, dass das im Streckenprofil nicht auftauchte. Uns war klar, dass wir dieses Stück bei der Rückfahrt umfahren mussten, denn da wäre ich nicht hochgekommen.
Auch im nächsten Ort, in Elgersburg, war es ähnlich. Es ging Steil runter, zurück könnten wir dort entlang nicht.
In Geraberg ging es links in die Dr.-Mohr-Straße, ein echt fieses Ding! Es ging sachte bergauf los und wurde immer steiler. Auf halber Höhe ging nach links eine Gasse ab, die ich erstmal als Zwischenstation nutzte. Die Dr.-Mohr-Straße hatte an der Stelle schon 11%, also meine kritische Steigung. Der Plan war, in der Gasse wieder Schwung zu holen, um dann den Rest der Steigung zu bewältigen. Der Plan ging aber nur halbwegs auf, da ich nicht mit sehr hohem Tempo um die Kurve fahren konnte und so verhungerte ich nach einem Stück auf der Steigung, da mein Vorderrad durchdrehte.
Auf den restlichen 30m brauchte ich Dajana als Schiebehilfe. Oben angekommen wurde es erstmal nicht besser, es ging steil weiter und dazu kam auch noch Kopfsteinpflaster. Es ging teilweise wieder nur mit Schiebehilfe weiter. Wir ließen den Ortsrand hinter uns und auf Kopfsteinpflaster folgte Kies. Ein breiter Kiesweg der Bergauf in den Wald führte. Es ging also einen guten Kilometer auf Kies bergauf und leider lag die Steigung auch hier wieder um die 10%. Unter 10% war ok, darüber bedeutete Schiebehilfe zum Anschubsen.
Wir kamen schließlich auf einem Plateau an, von dem mehrere Wege abgingen. Laut App ging es nach rechts. Dort führte der Weg wieder bergab. Nach 50m war ich mir etwas unschlüssig, ob wir auf dem richtigen Weg waren. Wir drehten um und in diesem Moment kam ein LKW den Weg hinauf, den wir auch gerade rauf gefahren waren. Der LKW drehte auf dem Plateau und schob rückwärts den Weg runter auf dem wir gerade standen. Aus der Richtung in die er fuhr, hörte man Baulärm.
Wir fuhren die 50m zurück auf das Plateau und nahmen einen anderen Weg. Aber auch da passte der GPS Punkt nicht hundertprozentig mit der vorgegebenen Route überein. Also wieder zurück.
Dann sah ich, dass von dem ersten Weg, den wir probiert hatten, nach 30m noch ein kleinerer Weg abging. Der könnte passen, da er sich genau zwischen den beiden befand, die wir probiert hatten. Wir schauten uns das Ganze aus der Nähe an. Es war ein typischer Forstweg, zwei Fahrspuren und dazwischen ein Grünstreifen. Der Weg führte leicht bergab. Man konnte einige Meter bis zu einer leichten Kurve gucken. Sah alles nicht schlecht aus, also probierten wir es. Der Grünstreifen war breit genug, ich passte mit dem Rollstuhl gut darauf, um dort zu fahren. Nach der Kurve wurde es etwas steiler. Wir konnten wieder einige Meter bis zu einer Kurve gucken. Dajana entschloss sich, bis dort hin zu fahren, um zu sehen, wie es weiter geht. Sie kam zurück und meinte, es geht.
Wir hatten ungefähr 100m hinter uns von dem Weg, und uns wurde klar, wir mussten weiter. Hier umdrehen war nicht mehr möglich. Die Fahrspuren waren inzwischen so tief, dass ich nicht hätte rangieren können. Ich schaute auf die App, bis runter zum Ende des Weges waren es jetzt noch ca. 800m. Also los!
Es wurde noch etwas steiler und was noch dazu kam war, dass die Fahrspuren noch tiefer und damit auch breiter wurden und der Grünstreifen immer schmaler. Es half nichts, ich musste in eine der Fahrspuren ausweichen. Ich entschied mich für die linke und schwups war ich drinnen. Man kann sich das ungefähr wie mit einem Bob im Eiskanal vorstellen. Der Rollstuhl steht in der ausgefahrenen Rinne mit den Rädern so halbhoch an den Seitenwänden. Irgendwie alles nicht so stabil. Aber es ging, wir kamen weiter – noch.
Die linke Spur wurde jetzt so steinig und schlecht befahrbar, das ich in die rechte Spur ausweichen musste. Tja, aber erstmal können. Dajana stieg ab und hielt mich mit an meinen Schiebegriffen. Irgendwie klappte es und wir saßen in der rechten Spur. Sie konnte mich aber gar nicht mehr loslassen, da alles so schräg, schief und kippelig war, dass die Gefahr groß war, das ich umkippte. Das wäre übrigens ziemlich doof gewesen, da rechts auch noch ein steiler Abhang war. Inzwischen ging es nur noch Meter für Meter weiter und Dajana hing an meinen Schiebegriffen, wie an einem Hundeschlitten und stemmte sich seitlich dagegen, wenn ich anfing zu kippen. Alle paar Meter hielten wir an, Dajana nahm ihr Fahrrad, fuhr ein Stück vor, stellte es ab und kraxxelte den Weg wieder hinauf zu mir.
Die nächste Schwierigkeitsstufe waren Regenrinnen, die im Abstand von 10m bis 20m quer über den Weg verliefen. Natürlich muss ich wohl nicht erwähnen, dass diese schön ausgewaschen und dementsprechend tief waren. Um da durch zu kommen, brauchte ich etwas Schwung. Es ging also etwas kamikazemäßig durch die Regenrinnen hindurch. Der Rollstuhl machte dabei Geräusche wir noch nie zuvor.
Leider haben wir auf der ganzen Tour nur ein Bild gemacht. Hier sieht man, wie ich oben auf dem Weg stehe, während Dajana ein Stück vorgefahren ist:
Ohne meine liebe Ehefrau wäre ich da jedenfalls nicht runtergekommen, das war Teambuilding vom Allerfeinsten. Zwischendurch kam mir dann der Gedanke: was ist, wenn es da unten nicht weiter geht? Nur steil wieder hoch zum Beispiel? Als ich diesen Gedanken mit Dajana teilte, wurden ihre Augen groß. Uns fiel nur sowas wie die Bergwacht ein.
Stück für Stück arbeiteten wir uns den Berg runter. Endlich sahen wir das Ende und blickten auf einen quer verlaufenden Schotterweg. Es ging auf diesem Weg nach rechts weiter, leicht bergab, unter einer hohen Autobahnbrücke hindurch und der Weg endete auf einer Straße.
Der Baulärm den wir vorher oben im Wald gehört hatten, kam übrigens von der Autobahn. Dort wurde ein Tunnel Instand gesetzt. Wären wir dem falschen Weg auf dem Plateau gefolgt, hätten wir auf der Autobahn gesessen.
Als ich gucken wollte, ob es links oder rechts weiterging nach Oberhof, fragte Dajana mich, ob ich spinne? Es gab also nur noch einen Weg: zurück nach Hause. Was auch richtig war an diesem Tag.
Wir folgten also der Straße, es ging erstmal ein ganzes Stück bergab bis Gräfenroda. Was wirklich eine Wohltat war, wir konnten einfach laufen lassen und das gab nach den Anstrengungen im Berg etwas Kühlung. Nach dem Ortsrand Richtung Geraberg lag vor uns wieder eine lange Steigung, die mir an diesem Tag wirklich den Rest gab. Laut App ging es dort bis zu 13% den Berg hoch. Ich kämpfte mich irgendwie hinauf.
Auch auf der restlichen Strecke von Geraberg über Elgersburg und Roda nach Ilmenau, blieben wir auf der Straße. Wir wussten vom Hinweg, dass auf dem Radweg zwei steile Abschnitte auf uns gewartet hätten, die wir uns nicht mehr antun wollten. Von Ilmenau ging es über unsere gewohnte Hausstrecke heimwärts.
Planung einer Fahrrad Route
Jetzt könnte man sagen „das hätte er doch in der App schon erkennen können“.
In den Einstellungen habe ich für die Route „Fahrrad“ gewählt, nicht „Mountainbike“. Ok, die Tour wurde als „schwer“ angezeigt, aber was heißt das schon?
Was das heißt habe ich übrigens irgendwann mal in der Fußzeile auf der Komoot Seite entdeckt. Unter „Tour Charakteristen“ steht dort bei Fahrrad, schwere Tour:
- mehr als 5 Stunden oder 450 Höhenmeter
- Sehr gute Kondition erforderlich
- Auf einigen Passagen wirst du dein Rad evtl. tragen müssen
Also immer gut das Kleingedruckte lesen! 😉
Wie nützlich ist ein Handbike?
Noch ein paar Worte an alle Kostenträger, die diesen Beitrag vielleicht lesen.
Können sie sich vorstellen was das für ein Lebensgefühl ist, das man während und nach einer Bike Tour, erhält?
Mit einem Handbike erweitert man den Aktionsradius auf einen Bereich, der einer sozialen Zufriedenheit entspricht. Man kann damit mit Familie, Freunden, Kollegen etwas unternehmen ohne das andere Rücksicht nehmen oder sich einschränken müssen. Gleichzeitig ist die sportliche Aktivität für Körper und Geist förderlich.
Denken Sie um, unterstützen Sie diese positiven „Dinge“. Sie fördern damit die Gesundheit eines jeden Rollstuhlfahrers.